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Droht im Winter ein Energie-Preisschock?

Droht im Winter ein Energie-Preisschock?
Droht im Winter ein Energie-Preisschock? - Bild: © moquai86 #179762965 – stock.adobe.com

Viele leerstehende Gasspeicher treffen auf eine hohe Nachfrage. Erschwerend kommt hinzu, dass Gaspreise immer mehr anziehen.
Droht deshalb im Winter eine Krise und müssen Verbraucher mit einem Preisschock für hohe Energiekosten rechnen?

Höhere Großhandelspreise für Gas

Seit Anfang 2021 hat sich der Großhandelspreis für Gas drastisch erhöht. Mit einem Betrag von 65 Euro je Megawattstunde ist das Dreifache des langjährigen Durchschnitts erreicht, das um bis zu 20 Euro niedriger ist.

Zudem haben sich Preise für weitere Energieträger wie Öl, Steinkohle und Strom deutlich erhöht.

Allein in den letzten Wochen verdoppelte sich der Preis an der Stromhandelsbörse.

Großhandelspreise für Gas
Seit Anfang 2021 hat sich der Großhandelspreis für Gas drastisch erhöht – Bild: © lamio #31951701 – stock.adobe.com

Wichtige Gründe

Nehmen dem ungewöhnlich langen Winter von 2020 auf 2021 sind das geringe Angebot und die erhöhte Nachfrage nach Gas für die Preisentwicklung verantwortlich. Weil es im April und Mai 2021 noch immer recht kalt gewesen ist, heizten Verbraucher auch in diesen Monaten.

Dementsprechend wurde Gas auch über einen längeren Zeitraum entnommen. Aktuell sind die Gasspeicher nach Informationen des Verbands Initiative Erdgasspeicher nur zu 64 Prozent wieder aufgefüllt. Für gewöhnlich beträgt die Speicherkapazität zum Ende des Sommers jedoch rund 90 Prozent.

Erhöhte Nachfrage nach Gas
Nehmen dem ungewöhnlich langen Winter von 2020 auf 2021 sind das geringe Angebot und die erhöhte Nachfrage nach Gas für die Preisentwicklung verantwortlich – Bild: © volkerr #39465076 – stock.adobe.com

Weniger Gas aus Russland

Russland – der Hauptlieferant von Europa – leitete in den vergangenen Monaten wesentlich weniger Gas als in der Zeit vor der Coronakrise weiter. Einige Politiker unterstellen russischen Lieferanten sogar, dass sie die aktuelle Knappheit bewusst herführen. Von diesem Vorwurf distanzieren sich Gazprom und die russische Regierung jedoch deutlich.

Zu diesem Thema betont ebenfalls der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft, dass Gazprom seinen vertraglichen Verpflichtungen bislang immer nachgekommen ist.

Zusätzlich ging die europäische Gasproduktion aufgrund durch Corona erzeugte Förderausfälle zurück. Aus dem Golfstaaten sowie den USA angeliefertes Flüssiggas ist ebenfalls knapp. Ein weiterer Grund ist die aktuell in Asien anziehende Konjunktur.

Erhöhter Gas-Bedarf

Erschwerend kommt hinzu, dass der Bedarf an Gas in Europa deutlich angestiegen ist. Ein Abnehmer sind Industrie-Unternehmen, die für die Stahlherstellung auf energieintensive Prozesse angewiesen sind. Zudem setzen Produzenten von Baustoff das Gas als Energiequelle ein.

Kraftwerksbetreiber benötigten ebenfalls überdurchschnittlich viel Gas, da eine Erzeugung von Solar- und Windstrom wetterbedingt relativ gering gewesen ist. Der Preis für CO2-Zertifikate erhöhte sich, weil neben mehr Gas ebenfalls mehr Braun- und Steinkohle verstromt wird. Dieser Mechanismus beeinflusst die Energiepreise massiv.

Gas Pipeline
Erschwerend kommt hinzu, dass der Bedarf an Gas in Europa deutlich angestiegen ist – Bild: © benschonewille #207732454 – stock.adobe.com

Erste Insolvenzen infolge Gas-Mangels

Die Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen. Weil die Lage in Großbritannien noch angespannter als in Deutschland ist, mussten in diesem Land bereits erste Energieanbieter Insolvenz anmelden.

Im Vorfeld schlossen die Dienstleister Vereinbarungen für eine Strom- bzw. Gaslieferung zum Festpreis ab, erwarben die Energie jedoch partiell zu tagesaktuellen Kursen.

Dadurch waren die Anbieter nicht in der Lage, die deutlich erhöhten Einkaufskosten weiterzugeben. Dieses Schicksal könnte auch einige in Deutschland agierende Gasanbieter ereilen.

Zudem wirkt sich der Kostenanstieg auf Produzenten von Papier, Stahl oder Düngemitteln aus. In Großbritannien sahen sich mittlerweile schon einige Düngemittelunternehmen gezwungen, ihren Betrieb aufgrund der hohen Energiekosten einzustellen. Es entsteht eine Kettenreaktion, da sich die Knappheit an Dünger ebenfalls auf CO2 als Industriegas auswirkt. Von diesem Industriegas hängt wiederum die Produktion der Lebensmittelindustrie ab.

Eingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit

Zahlreiche Unternehmen sicherten sich deshalb mithilfe langfristiger Liefervereinbarungen oder durch Hedging mit Finanzprodukten gegen die kurzfristigen Preissteigerungen ab. Ein Beispiel ist der Stromkonzern REWE, der für die Braunkohleverstromung so viele CO2-Zertifikate erwarb, dass dieser am massiven Preisanstieg der Verschmutzungsrechte sogar ein Plus erwirtschaftet.

Nichtsdestotrotz entwickeln sich die Preise für Strom und Gas für Unternehmen zu einem massiven Kostenproblem. Die Wettbewerbsfähigkeit ist dadurch am Produktionsstandort in Deutschland eingeschränkt.

Industrieanlage mit Gas Pipelines
Zahlreiche Unternehmen sicherten sich deshalb mithilfe langfristiger Liefervereinbarungen oder durch Hedging mit Finanzprodukten gegen die kurzfristigen Preissteigerungen ab – Bild: © 63ru78 #207950061 – stock.adobe.com

Darauf müssen sich Verbraucher einstellen

Bislang wurden Verbraucher trotz des Preisschocks zumeist noch nicht stärker zur Kasse gebeten. Doch dieser Zustand dürfte sich aufgrund der fortgeschrittenen kalten Jahreszeit bald ändern. Aussagen eines Vergleichsportals zufolge haben rund 50 Grundversorger die Kosten für Gas bereits erhöht oder deren Erhöhung angekündigt.

Diese Erhöhungen von durchschnittlich elf Prozent bedeuten für einen Durchschnittshaushalt Zusatzkosten von 172 Euro je Jahr.

Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass die Preise noch stärker ansteigen werden. Der Strompreis für Verbraucher befindet sich bereits auf Rekordniveau. Auch in diesem Segment kündigten erste Versorger schon Erhöhungen an. Doch möglicherweise profitieren Verbraucher von einer Entlastung, da alle großen Parteien für die nächste Legislaturperiode von einer finanziellen Entlastung infolge einer Reform oder Abschaffung der Ökostromumlage reden.

Spitzt sich die Krise im Winter zu?

Etwa 25 Prozent der hierzulande genutzten Primärenergie wird durch Erdgas erzeugt. Zur kalten Jahreszeit sind Industrieunternehmen sowie 44 Prozent von Privathaushalten für das Heizen mit Gas abhängig. Da die Heizperiode bereits begonnen hat, ist es jedoch eher unwahrscheinlich, dass sich Gasspeicher in Europa in den nächsten Monaten wieder komplett füllen werden.

Da die Reserven im Vergleich zu den Vorjahren wesentlich beschränkter sind, hängt die Entwicklung der Gasversorgung auch maßgeblich von der Lieferfähigkeit und Lieferbereitschaft von Russland ab. Diese Situation nehmen einige Beobachter als Anlass, um eine ernstzunehmende Krise heraufzubeschwören.
So sei es nach Aussagen der Investmentbank Goldman Sachs nicht ausgeschlossen, dass Behörden zur Sicherstellung der Gasversorgung in Haushalten möglicherweise ganze Industriebetriebe schließen müssen. Amos Hochstein als Beauftragter für Energiesicherheit vom US-Außenministerium betonte sogar gegenüber der Financial Times, dass schlimmstenfalls „Leben auf dem Spiel“ stünden.